TOP 100 Startup Award 2017: Erster Platz für Ava, das fruchtbare Geschäft

07.09.2017

AVA Armbänder des Zürcher Startups zeigen die fruchtbaren Tage im weiblichen Zyklus an. Nun sollen sie zu Gesundheitsbegleitern von Frauen zwischen 25 und 55 werden.

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Ava und ihr fruchtbares Geschäft
Fünfzehn Frauen und zehn Männer auf 178 Quadratmetern; es ist eng im Office von Ava. Doch der Edelrohbau im Zürcher Binz-Quartier ist auf Flexibilität angelegt. Das Restaurant im Parterre kann auch als Meetingroom genutzt werden. Ava-CEO Pascal Koenig weist den Weg. Unten angekommen, legt er sein Produkt auf den Tisch: ein türkisfarbenes Armband mit einem silbernen Knopf. An einem Elevator-Pitch würde Koenig sagen: «Jede dritte Frau, die sich ein Kind wünscht, wird nicht unmittelbar schwanger. Eines der wichtigen Themen dabei ist das Timing. Es lässt sich aber immer noch nicht genau sagen, wann der Eisprung – und damit die fruchtbare Phase – ist. Deshalb haben wir eine Lösung entwickelt, die besser ist als alles andere auf dem Markt.» Andere Ovulationstest-Anbieter lassen Frauen die Vaginaltemperatur messen und in eine App eintragen. Ava dagegen nutzt nicht weniger als neun physiologische Parameter. Deshalb erkennt frau mit der Ava Methode 89 Prozent oder 5,3 der durchschnittlich 6 fruchtbaren Tage – doppelt so viele wie mit der Konkurrenz.

Und alles geschieht im Schlaf. Die Frau zieht am Abend das Armband an. In der Nacht zeichnen Sensoren die Hauttemperatur, die Durchblutung und die Variabilität der Herzfrequenz auf. Am Morgen werden drei Millionen Datenpunkte via Bluetooth aufs Smartphone übertragen und von dort in die Ava-Cloud geladen. Monatlich werde ihr Algorithmus präziser, wirbt Koenig, niemand erhebe und verarbeite mehr physiologische Daten von gebärwilligen Frauen als Ava. Diese würden zwar bei Amazon Web Services gespeichert, aber sie seien anonymisiert und würden einzig den Kundinnen gehören.

In die Medizintechnik ist der HSG-Abgänger und frühere McKinsey Berater Koenig über einen Job bei Synthes gekommen. Seither hat er an verschiedenen Startup-Projekten mitgewirkt. Einmal ging es um ein Überwachungsgerät für Herzpatienten, ein andermal um eine Notrufuhr für Senioren.

Im Spätsommer 2013 lernte Businessprofi Koenig den ETH-Ingenieur Peter Stein kennen. Sie treffen sich im Restaurant Studer’s in Zürich West. Auch dabei sind Steins Studienkollege Philipp Tholen sowie Lea von Bidder, die wie Koenig an der Universität St. Gallen studierte. Man unterhält sich über Schwangerschaften und Kinder. Später werden moderne Datentracking-Technologien diskutiert. Man wundert sich, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, die physiologischen Parameter der Schwangerschaft am Handgelenk abzulesen. Ava ist geboren.

Kurz darauf besuchen die vier Gründer die weltweit führenden Sensorhersteller und fragen: «Wenn wir die besten Sensoren nehmen, die derzeit in euren Entwicklungs- Pipelines sind, was liesse sich damit alles machen?» Mit einem ersten Konzept für ein Sensorarmband konsultieren die Ava Gründer Brigitte Leeners, Professorin am Universitätsspital Zürich mit Fachgebiet mathematische Modellierung des Menstruationszyklus, sowie Stephanie von Orelli, Chefärztin an der Frauenklinik des Zürcher Triemli-Spitals. Eine einjährige klinische Studie mit vierzig Frauen läuft an. Die Resultate erscheinen im April 2016 – für Koenig ein «Meilenstein».

Investoren und Wirtschaftsförderer glauben an Ava: Die Jungunternehmer gewinnen 130 000 Franken im kompetitiven Venture-Kick-Prozess und holen beim De-Vigier-Award zusätzlich 100 000 Franken ab. 2015 folgt nach dem Gewinn der Swisscom Startup Challenge eine Seed- Runde über 2,6 Millionen. Zu den Investoren gehören Swisscom und die ZKB, welche sich 2016 auch an der Serie-A-Runde beteiligen, bei der noch einmal 9,7 Millionen zusammenkommen. Nun steht eine Serie-B-Runde über einen zweistelligen Millionenbetrag an. Im Juli 2016 kam das Ava-Bracelet offiziell auf den Mark – und zwar exklusiv in den USA. Dafür eröffnete Ava ein Office in San Francisco. Es ist die zweite Niederlassung nach Belgrad, wo die Software entwickelt wird. Von Kalifornien aus organisiert Lea von Bidder die Eroberung der amerikanischen Frauenhandgelenke.

So werden potenzielle Kundinnen im Internet auf das Produkt aufmerksam gemacht: Glaubwürdiger Content übers Schwangerwerden, Hunderte von PR-Artikeln in Medien oder Blogs, Aktivitäten auf Youtube. Bislang hat das Jungunternehmen einen gut siebenstelligen Betrag ins dortige Marketing investiert. Mit Erfolg: Bis Mitte Juli dieses Jahres wurden in den USA über 10 000 Bracelets zu einem aktuellen Stückpreis von 249 Dollar abgesetzt. Gemäss Pascal Koenig ist das Kerngeschäft in den USA damit bereits profitabel.

In Europa ist das Bracelet seit Anfang Jahr auf dem Markt. Auch hier ziehen die Verkäufe an; sie machen bereits einen Fünftel des Umsatzes aus. Koenig ist überzeugt: «Im laufenden Jahr werden wir den Umsatz verzehnfachen.» Aber damit nicht genug: Den chinesischen Markt hat er als Gewinner von Venture Leaders China 2016 bereits evaluiert. Für die Lancierung sind 3 Millionen Franken reserviert. Ein Teil des Geldes fliesst ins Direktmarketing via Internet, ein anderer Teil in den Aufbau von Vertriebspartnerschaften. «Ein global tätiges Pharmaunternehmen, das Zugang zu 80 Prozent der Gynäkologen hat, zeigt grosses Interesse an uns», sagt Koenig. Das Ava-Armband würde perfekt in die Produktpalette passen.

Parallel dazu bauen die Ava- Gründer ihr Angebot aus: Nebst der Berechnung der fruchtbaren Tage und der Überwachung der Schwangerschaft will man sich auch im Bereich der Verhütung einen Namen machen. Denn wer sensorgestützt errechnen kann, wann eine Frau fruchtbar ist, kann auch bestimmen, wann sie es garantiert nicht ist. Pascal Koenig hat dabei eine neue Generation von Frauen im Auge, die keine Lust mehr hat, sich täglich Hormone oder andere pharmakologische Mittel zuzuführen. Studien zur Schwangerschaftsverhütung sind am Laufen. In Zürich tüftelt man derweil an zusätzlichen Funktionalitäten und experimentiert mit neuen Farben und Materialien für die Bänder. Zudem wird kräftig in eine Content- Plattform rund ums Thema Women’s Health investiert. Ava soll zum Begleiter von Frauen zwischen 25 und 55 avancieren. «Als Startup ist es wichtig, gross zu denken, wirklich gross», sagt Koenig. «Wir möchten Weltmarktführer werden – auch wenn das unschweizerisch klingt.»

TEXT: EDITH ARNOLD

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