TOP 100 Startup Award 2016: Erster Platz mit innovativer Lichttechnologie
15.09.2016
Yann Tissot und Simon Rivier weisen mit ihrem Startup L.E.S.S. der industriellen Qualitätskontrolle neue Wege und haben mit ihrer innovativen Lichttechnologie einen starken Nischenmarkt erobert. Der nächste Schritt wird schwieriger: Die Erstürmung der Automobilindustrie.
![]() L.E.S.S. mit ihrer innovativen Lichttechnologie
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Wenn Yann Tissot seinen Besuchern die Vorzüge des L.E.S.S.-Lichts erklärt, zückt er eine Münze und legt sie auf den Objekttisch eines Mikroskops. Dort wird der Einfränkler in einer Vertiefung von einer ringförmigen Lichtquelle ausgeleuchtet – absolut gleichförmig und ohne jeden Schatten. Durch das Okular ist Mutter Helvetia gestochen scharf zu sehen.
Wie die beiden Seiten einer Münze präsentiert sich auch die Firma, die Tissot 2012 zusammen mit Simon Rivier gegründet hat: Auf der einen Seite ist L.E.S.S. (Light Efficient SystemS) mit gut eingeführten Produkten in einem Nischenmarkt tätig, auf der anderen arbeitet das Unternehmen mit Hochdruck daran, mit weiteren Anwendungen seiner Technologie massenmarkttauglich zu werden. «Uns ist es gelungen, unsere Produkte zu verkaufen, noch während wir die Produktion aufbauten», sagt Tissot. «Dies unterscheidet uns von einem gewöhnlichen Startup.»
Das Unternehmen mit Sitz im Innovationspark der EPFL in Ecublens versteht seine Lichtquellen als Konkurrenz zu LED-Lämpchen, denn diese brauchen zu viel Platz, sind zu wenig effizient und liefern zu wenig gleichmässiges Licht. Die von L.E.S.S. entwickelte Alternative baut auf den Dissertationen der beiden Gründer in Photonik und nichtlinearer Optik auf. Die zentrale Innovation: Lichtwellenleiter auf der Basis einer einzigen nanostrukturierten Glasfaser. Die Nanofasern, durch die Laserlicht fliesst, lassen sich mit Neonröhren vergleichen, bloss sind sie dünner als ein Haar und liefern helleres und homogeneres Licht.
Das Konzept hat sich in der Praxis bewährt, erste Produkte können gut verkauft werden, und L.E.S.S. gilt als Vorzeigeunternehmen – 2016 belegt es zum zweiten Mal hintereinander Platz Nummer eins der TOP-100- Startups. Doch der permanente Tanz auf zwei Hochzeiten – hier die Nische, dort die Masse – erlebt Tissot als «äusserst stressige Dynamik». An die Substanz geht dem CEO vor allem «die emotionale Dimension des Projekts». Er habe völlig unterschätzt, welch grosse Belastung das ewige Auf und Ab darstelle zwischen Erfolgen in der Produktentwicklung und bei den Kunden sowie immer neuen Herausforderungen bei der Finanzbeschaffung und bei der Personalsuche. Kommt dazu, dass sein Team von dieser emotionalen Achterbahnfahrt nichts mitbekommen soll. «Man muss die Leute voranbringen», sagt Tissot, «und man ist immer allein, wenn es um wichtige Entscheidungen geht.» Doch klagen wolle er nicht: «So sieht die Arbeit eines Unternehmers aus.»
Zurück zu den beiden Seiten der L.E.S.S.-Münze: Kopf steht für das Geschäft mit der Qualitätskontrolle, wie sie zum Beispiel für die Hersteller von Uhren oder medizinischen Implantaten zentral ist. Ob von Auge oder automatisiert mit einer Kamera, immer müssen die zu begutachtenden Teilchen optimal zu sehen und zu messen sein. Und dafür gibt es zurzeit keine bessere Hilfe als das Licht von L.E.S.S.. Um die Überlegenheit ihrer Produkte unter Beweis zu stellen, forderte die Firma kürzlich die Besucher einer Messe für die Uhrenindustrie auf: «Bringen Sie Ihre eigenen Bestandteile mit und entdecken Sie diese unter der einzigartigen Gleichförmigkeit und Bündelung des L.E.S.S.-Lichts neu.» Das wohl noch bessere Verkaufsargument: Das Lausanner Unternehmen kann nachweisen, dass sich die Produktivität dank seiner Produkte um mehr als 25 Prozent steigern lässt. Der Grund: Die Mitarbeiterinnen müssen die zu kontrollierenden Teilchen nicht mehr aufwändig in alle Richtungen drehen. Mit L.E.S.S. genügt ein Blick.
Das Geschäft mit der visuellen und automatisierten Qualitätskontrolle sei zwar eine Nische, erklärt Yann Tissot, aber eine riesige. Weltweit werden in diesem Markt Lichtquellen für 1 Milliarde Franken pro Jahr verkauft. Nach dem erfolgreichen Start in der Uhrenindustrie beliefert L.E.S.S. heute rund 50 Kunden in den unterschiedlichsten Branchen – von der Glasherstellung und dem Diamanten- Business bis zur Elektronik- und Raumfahrtindustrie. Dank diesem «ersten Markt», wie ihn Tissot nennt, zählt das junge Unternehmen heute zwölf Mitarbeiter. Bis Mitte des nächsten Jahres soll sich die Belegschaft mindestens verdoppeln. Auf diesen Zeitpunkt hin will Tissot auch die Gewinnschwelle erreichen.
Und nun zur Zahl auf der L.E.S.S.- Münze, zum Massenmarkt. Es geht um den Einsatz der neuen Technologie in Autos und in Bildschirmen jeder Art. So viel gab Yann Tissot schon vor einem Jahr preis – und viel mehr lässt er sich auch heute nicht entlocken. Die Entwicklungszyklen in der Autoindustrie sind lang, und solange der Einsatz von L.E.S.S.-Komponenten nicht besiegelt ist, bleibt alles streng geheim: «Ich kann nur so viel sagen – unsere Zusammenarbeit mit einem Autohersteller ist derart fortgeschritten, dass unsere Produkte in den kommenden fünf Jahren in seine Modelle integriert werden sollten.»
Was die Lausanner an der Autoindustrie lockt, sind nicht nur die grossen Stückzahlen. Seine Partner, so Tissot, seien bereit, die Entwicklung neuer Technologien zur Marktreife mitzufinanzieren. Denn genau hier liegt die nächste Hürde auf dem Wachstumspfad. «Bei L.E.S.S. geht es um ein industrielles Projekt. Wir entwickeln nicht neue Algorithmen», betont der CEO, «wir sind dabei, eine ganze Industrie zu verändern.» Und dazu braucht es viel Geld. Von den drei Millionen Franken, die L.E.S.S. bei einer ersten Finanzierungsrunde generieren konnte, floss die Hälfte in Entwicklung und Bau massgeschneiderter Maschinen. Um auf den Massenmarkt vordringen zu können, rechnet Tissot mit Investitionen von 20 Millionen Franken während der nächsten fünf Jahre.
Bei solchen Summen wird es Schweizer Geldgebern mulmig. «Es ist sehr schwierig, hiesigen Investoren unsere Strategie rüberzubringen», sagt der Jungunternehmer. Die Schweiz sei das beste Land der Welt, um ein Startup zu gründen, aber nicht um mit einer Firma schnell zu wachsen. Aber genau das ist das Ziel von Tissot und Rivier, dem Forschungs- und Entwicklungsleiter. «Wenn wir heute aufhören würden, hätten wir ein solides KMU erschaffen», bilanziert der CEO. „Aber wir wollen gross werden. Das ist kein überrissener Ehrgeiz, aber natürlich mit Risiken verbunden.»
TEXT: KASPAR MEULI
Wie die beiden Seiten einer Münze präsentiert sich auch die Firma, die Tissot 2012 zusammen mit Simon Rivier gegründet hat: Auf der einen Seite ist L.E.S.S. (Light Efficient SystemS) mit gut eingeführten Produkten in einem Nischenmarkt tätig, auf der anderen arbeitet das Unternehmen mit Hochdruck daran, mit weiteren Anwendungen seiner Technologie massenmarkttauglich zu werden. «Uns ist es gelungen, unsere Produkte zu verkaufen, noch während wir die Produktion aufbauten», sagt Tissot. «Dies unterscheidet uns von einem gewöhnlichen Startup.»
Das Unternehmen mit Sitz im Innovationspark der EPFL in Ecublens versteht seine Lichtquellen als Konkurrenz zu LED-Lämpchen, denn diese brauchen zu viel Platz, sind zu wenig effizient und liefern zu wenig gleichmässiges Licht. Die von L.E.S.S. entwickelte Alternative baut auf den Dissertationen der beiden Gründer in Photonik und nichtlinearer Optik auf. Die zentrale Innovation: Lichtwellenleiter auf der Basis einer einzigen nanostrukturierten Glasfaser. Die Nanofasern, durch die Laserlicht fliesst, lassen sich mit Neonröhren vergleichen, bloss sind sie dünner als ein Haar und liefern helleres und homogeneres Licht.
Das Konzept hat sich in der Praxis bewährt, erste Produkte können gut verkauft werden, und L.E.S.S. gilt als Vorzeigeunternehmen – 2016 belegt es zum zweiten Mal hintereinander Platz Nummer eins der TOP-100- Startups. Doch der permanente Tanz auf zwei Hochzeiten – hier die Nische, dort die Masse – erlebt Tissot als «äusserst stressige Dynamik». An die Substanz geht dem CEO vor allem «die emotionale Dimension des Projekts». Er habe völlig unterschätzt, welch grosse Belastung das ewige Auf und Ab darstelle zwischen Erfolgen in der Produktentwicklung und bei den Kunden sowie immer neuen Herausforderungen bei der Finanzbeschaffung und bei der Personalsuche. Kommt dazu, dass sein Team von dieser emotionalen Achterbahnfahrt nichts mitbekommen soll. «Man muss die Leute voranbringen», sagt Tissot, «und man ist immer allein, wenn es um wichtige Entscheidungen geht.» Doch klagen wolle er nicht: «So sieht die Arbeit eines Unternehmers aus.»
Zurück zu den beiden Seiten der L.E.S.S.-Münze: Kopf steht für das Geschäft mit der Qualitätskontrolle, wie sie zum Beispiel für die Hersteller von Uhren oder medizinischen Implantaten zentral ist. Ob von Auge oder automatisiert mit einer Kamera, immer müssen die zu begutachtenden Teilchen optimal zu sehen und zu messen sein. Und dafür gibt es zurzeit keine bessere Hilfe als das Licht von L.E.S.S.. Um die Überlegenheit ihrer Produkte unter Beweis zu stellen, forderte die Firma kürzlich die Besucher einer Messe für die Uhrenindustrie auf: «Bringen Sie Ihre eigenen Bestandteile mit und entdecken Sie diese unter der einzigartigen Gleichförmigkeit und Bündelung des L.E.S.S.-Lichts neu.» Das wohl noch bessere Verkaufsargument: Das Lausanner Unternehmen kann nachweisen, dass sich die Produktivität dank seiner Produkte um mehr als 25 Prozent steigern lässt. Der Grund: Die Mitarbeiterinnen müssen die zu kontrollierenden Teilchen nicht mehr aufwändig in alle Richtungen drehen. Mit L.E.S.S. genügt ein Blick.
Das Geschäft mit der visuellen und automatisierten Qualitätskontrolle sei zwar eine Nische, erklärt Yann Tissot, aber eine riesige. Weltweit werden in diesem Markt Lichtquellen für 1 Milliarde Franken pro Jahr verkauft. Nach dem erfolgreichen Start in der Uhrenindustrie beliefert L.E.S.S. heute rund 50 Kunden in den unterschiedlichsten Branchen – von der Glasherstellung und dem Diamanten- Business bis zur Elektronik- und Raumfahrtindustrie. Dank diesem «ersten Markt», wie ihn Tissot nennt, zählt das junge Unternehmen heute zwölf Mitarbeiter. Bis Mitte des nächsten Jahres soll sich die Belegschaft mindestens verdoppeln. Auf diesen Zeitpunkt hin will Tissot auch die Gewinnschwelle erreichen.
Und nun zur Zahl auf der L.E.S.S.- Münze, zum Massenmarkt. Es geht um den Einsatz der neuen Technologie in Autos und in Bildschirmen jeder Art. So viel gab Yann Tissot schon vor einem Jahr preis – und viel mehr lässt er sich auch heute nicht entlocken. Die Entwicklungszyklen in der Autoindustrie sind lang, und solange der Einsatz von L.E.S.S.-Komponenten nicht besiegelt ist, bleibt alles streng geheim: «Ich kann nur so viel sagen – unsere Zusammenarbeit mit einem Autohersteller ist derart fortgeschritten, dass unsere Produkte in den kommenden fünf Jahren in seine Modelle integriert werden sollten.»
Was die Lausanner an der Autoindustrie lockt, sind nicht nur die grossen Stückzahlen. Seine Partner, so Tissot, seien bereit, die Entwicklung neuer Technologien zur Marktreife mitzufinanzieren. Denn genau hier liegt die nächste Hürde auf dem Wachstumspfad. «Bei L.E.S.S. geht es um ein industrielles Projekt. Wir entwickeln nicht neue Algorithmen», betont der CEO, «wir sind dabei, eine ganze Industrie zu verändern.» Und dazu braucht es viel Geld. Von den drei Millionen Franken, die L.E.S.S. bei einer ersten Finanzierungsrunde generieren konnte, floss die Hälfte in Entwicklung und Bau massgeschneiderter Maschinen. Um auf den Massenmarkt vordringen zu können, rechnet Tissot mit Investitionen von 20 Millionen Franken während der nächsten fünf Jahre.
Bei solchen Summen wird es Schweizer Geldgebern mulmig. «Es ist sehr schwierig, hiesigen Investoren unsere Strategie rüberzubringen», sagt der Jungunternehmer. Die Schweiz sei das beste Land der Welt, um ein Startup zu gründen, aber nicht um mit einer Firma schnell zu wachsen. Aber genau das ist das Ziel von Tissot und Rivier, dem Forschungs- und Entwicklungsleiter. «Wenn wir heute aufhören würden, hätten wir ein solides KMU erschaffen», bilanziert der CEO. „Aber wir wollen gross werden. Das ist kein überrissener Ehrgeiz, aber natürlich mit Risiken verbunden.»
TEXT: KASPAR MEULI