TOP 100 Startup Award 2014: Erster Platz mit dritter Dimension
18.09.2014
Auf Platz 1 schaffte es das Zürcher Startup InSphero, venture leaders und venture kick Alumni, welches die weltweiten Top 10 der Pharmaindustrie zur ihren Kunden zählen. Durch die Zürcher Entwicklung kann nicht nur massiv Geld eingespart, sondern Medikamente sicherer und besser gemacht werden. Möglich ist dies durch künstliche dreidimensionale Organe, welche die Entwicklung von neuen Medikamenten beschleunigen.
![]() Jens Kelm, Jan Lichtenberg, Wolfgang Moritz führen mit InSphero die Liste der 100 besten Startups der Schweiz an. (Foto: Tina Sturzenegger)
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Unter dem Mikroskop wird er sichtbar: Ein Klumpen aus schätzungsweise 1500 Leberzellen. Und das Faszinierende daran: In diesem künstlich erzeugten Gewebe laufen tatsächlich Stoffwechselprozesse ab. «Der Schlüssel zum Verständnis heisst Selbstorganisation», erklärt Jan Lichtenberg, CEO von InSphero. Wenn man verhindert, dass lebende Organzellen an einer festen Struktur andocken, behalten sie ihre natürliche Differenzierung und bilden eine funktionale Matrix. Entdeckt hat dieses Phänomen der amerikanische Biologe Ross Granville Harrison vor ziemlich genau 100 Jahren. Er hat in hängenden Tropfen die ersten Invitro-Gewebe gezüchtet. Aber nur unter Laborbedingungen. Für eine Verwendung in der Medizin war das Verfahren zu instabil. Deshalb verwenden Pharmaforscher bis heute vorwiegend Zellteppiche, wenn sie herausfinden wollen, wie chemische Substanzen auf menschliches Gewebe wirken. Was dabei nicht erfasst wird, sind Effekte auf Organebene. Ihnen versucht man mit Tierversuchen auf die Spur zu kommen. Mit wechselndem Erfolg allerdings, weshalb viele Nebenwirkungen neuer Medikamente erst in den klinischen Studien zutage treten. Der Rückzug eines Medikamentes in einer solch späten Phase zwingt «Big Pharma» jedes Jahr zu Abschreibungen in Milliardenhöhe. Deshalb erlebten künstliche Organe in den letzten Jahren – auch dank den Fortschritten in der Mikrotechnologie – eine Art Renaissance.
Mit Startkapital von venture kick zum Erfolg
Weltweit wird an Gewebeproduktionsverfahren gearbeitet, die so robust sind, dass sie den Ansprüchen der Industrie genügen. «Das Hauptproblem ist die Labilität der hängenden Tropfen», sagt Jens Kelm, der heutige Chief Scientific Officer von InSphero. Er befasste sich im Rahmen seiner Doktorarbeit am Labor für Bioengineering der ETH Zürich mit dem Thema und entwickelte zahlreiche Gewebemodelle. Der Rest war wieder eine Form der Selbstorganisation, und zwar im Biotech-Cluster Zürich: Kelm besprach sich mit dem Biochemiker Wolfgang Moritz, der am Unispital Zürich klinische Forschung betrieb. Zusammen fanden sie heraus, wie sich die Oberflächenspannung eines Tropfens mit sogenannten Kapillarkräften unterstützen lässt. Die beiden kontaktierten den Mikrotechniker Jan Lichtenberg, der damals Entwicklungsleiter bei der Zürcher Medtechfirma Hocoma war, und holten sich ihr Startkapital bei venture kick. Im März 2009 gründeten sie zusammen Insphero.
Entwicklung eines intelligenten Geschäftsmodells
Das erste Organ, das sich die drei vornahmen, war die Leber. Der Grund: Viele potenzielle Wirkstoffe müssen in der Erprobung am Menschen aussortiert werden, weil sich herausstellt, dass sie die Leber vergiften. Bereits 2011 wachsen in den InSphero-Labors die ersten Mikrolebern, und zwar auf eigens entwickelten Mikrotiterplatten, in denen jeweils 96 Tropfen mit Nährlösung hängen. Die Zahl ist entscheidend, denn die Laborautomaten der Industrie verfügen über jeweils acht Arme. Die ganze Platte kann in zwölf Arbeitsschritten pipettiert werden. «Jetzt ging es darum, ein intelligentes Geschäftsmodell zu entwickeln», sagt Lichtenberg. Er und seine Partner entschieden sich für einen Mix von Produkt- und Servicegeschäft. Das Produkt ist die Platte mit den 96 künstlichen Organen; als Dienstleistung offeriert man die Entwicklung von Versuchsanordnungen sowie die Lieferung der Auswertungsgeräte; ausserdem hat InSphero Behälter entwickelt, mit denen sich die Mikrogewebe bei konstant 37 Grad transportieren lassen. «Mit unserem Dienstleistungspaket ermöglichen wir den Kunden einen sanften Umstieg», erklärt Jan Lichtenberg. Gleichzeitig entstehen Umsätze, die das Budget entlasten. Richtig Kasse machen lässt sich später mit den margenstarken Mikrotiterplatten.
Kooperation mit britischem Pharamunternehmen
Insofern hat InSphero in diesem Frühling einen Riesenschritt gemacht: Ein britisches Pharmaunternehmen gab bekannt, dass es künftig all seine Wirkstoffkandidaten an den Mikrolebern von InSphero testen will. Parallel zum Industriegeschäft pflegt Lichtenberg den Kontakt zu Behörden wie dem amerikanischen National Institute of Health (NIH). Denn dort sucht man angesichts des Booms bei den Mikrogeweben nach einem Validierungsverfahren für die von der Industrie eingereichten Tests. Jan Lichtenberg ist überzeugt: «Wenn es uns gelingt, bei den Zulassungsstellen reinzukommen, wird unsere Plattform zu einem Quasi-Standard in den Innovationsabteilungen der Pharma- und Kosmetikindustrie.» Mit der Leber hat es in Schlieren angefangen, unterdessen bietet Insphero aber auch 3D-Gewebe und Testverfahren für das Gehirn, das Herz, die Bauchspeicheldrüse und die Haut an. Dank den Umsätzen aus dem Dienstleistungsgeschäft hatten Jan Lichtenberg und seine beiden Mitgründer bisher einen vergleichsweise tiefen Eigenkapitalbedarf. Externe Geldgeber haben bisher rund 5 Millionen Franken eingeschossen; eine dritte substanzielle Finanzierungsrunde ist in Vorbereitung. Dies vor allem, um den weltweiten Verkauf weiter zu stärken, denn der Markt für Massentests mit chemischen, pharmakologischen und kosmetischen Substanzen ist gross.
Neue Spin-off-Firma InSphero Diagnostics in Gründung
Experten prognostizieren einen Milliardenmarkt für Mikroorgane. Und hier will InSphero seine führende Position ausbauen. Der aktuelle Businessplan sieht vor, dass InSphero 2018 hier mit 60 Mitarbeitern mindestens 100 Millionen Franken umsetzen wird. Als zusätzliches Wachstumsfeld peilt man in Schlieren die personalisierte Medizin an. Mikroorgane sollen Aufschlüsse über den idealen Medikamentencocktail bei Chemotherapien liefern. Die Spin-off-Firma InSphero Diagnostics ist in Gründung.
Von Übermut ist in Schlieren indes wenig zu spüren. Moritz Kelm und Jan Lichtenberg waren vor ihrer persönlichen Gründerzeit erfolgreiche Berufsleute und stehen alle in ihren Vierzigern. Sie wissen: Der Weg vom Startup zum arrivierten Global Player ist lang und steinig. Grund zur Genugtuung gibt es allerdings schon heute. Jan Lichtenberg spricht vom gesellschaftlichen Nutzen der InSphero- Innovation: «Von Verbesserungen in der medizinischen Therapie und Diagnostik profitiert letztlich jeder Einzelne.»
Text: Jost Dubacher
Mit Startkapital von venture kick zum Erfolg
Weltweit wird an Gewebeproduktionsverfahren gearbeitet, die so robust sind, dass sie den Ansprüchen der Industrie genügen. «Das Hauptproblem ist die Labilität der hängenden Tropfen», sagt Jens Kelm, der heutige Chief Scientific Officer von InSphero. Er befasste sich im Rahmen seiner Doktorarbeit am Labor für Bioengineering der ETH Zürich mit dem Thema und entwickelte zahlreiche Gewebemodelle. Der Rest war wieder eine Form der Selbstorganisation, und zwar im Biotech-Cluster Zürich: Kelm besprach sich mit dem Biochemiker Wolfgang Moritz, der am Unispital Zürich klinische Forschung betrieb. Zusammen fanden sie heraus, wie sich die Oberflächenspannung eines Tropfens mit sogenannten Kapillarkräften unterstützen lässt. Die beiden kontaktierten den Mikrotechniker Jan Lichtenberg, der damals Entwicklungsleiter bei der Zürcher Medtechfirma Hocoma war, und holten sich ihr Startkapital bei venture kick. Im März 2009 gründeten sie zusammen Insphero.
Entwicklung eines intelligenten Geschäftsmodells
Das erste Organ, das sich die drei vornahmen, war die Leber. Der Grund: Viele potenzielle Wirkstoffe müssen in der Erprobung am Menschen aussortiert werden, weil sich herausstellt, dass sie die Leber vergiften. Bereits 2011 wachsen in den InSphero-Labors die ersten Mikrolebern, und zwar auf eigens entwickelten Mikrotiterplatten, in denen jeweils 96 Tropfen mit Nährlösung hängen. Die Zahl ist entscheidend, denn die Laborautomaten der Industrie verfügen über jeweils acht Arme. Die ganze Platte kann in zwölf Arbeitsschritten pipettiert werden. «Jetzt ging es darum, ein intelligentes Geschäftsmodell zu entwickeln», sagt Lichtenberg. Er und seine Partner entschieden sich für einen Mix von Produkt- und Servicegeschäft. Das Produkt ist die Platte mit den 96 künstlichen Organen; als Dienstleistung offeriert man die Entwicklung von Versuchsanordnungen sowie die Lieferung der Auswertungsgeräte; ausserdem hat InSphero Behälter entwickelt, mit denen sich die Mikrogewebe bei konstant 37 Grad transportieren lassen. «Mit unserem Dienstleistungspaket ermöglichen wir den Kunden einen sanften Umstieg», erklärt Jan Lichtenberg. Gleichzeitig entstehen Umsätze, die das Budget entlasten. Richtig Kasse machen lässt sich später mit den margenstarken Mikrotiterplatten.
Kooperation mit britischem Pharamunternehmen
Insofern hat InSphero in diesem Frühling einen Riesenschritt gemacht: Ein britisches Pharmaunternehmen gab bekannt, dass es künftig all seine Wirkstoffkandidaten an den Mikrolebern von InSphero testen will. Parallel zum Industriegeschäft pflegt Lichtenberg den Kontakt zu Behörden wie dem amerikanischen National Institute of Health (NIH). Denn dort sucht man angesichts des Booms bei den Mikrogeweben nach einem Validierungsverfahren für die von der Industrie eingereichten Tests. Jan Lichtenberg ist überzeugt: «Wenn es uns gelingt, bei den Zulassungsstellen reinzukommen, wird unsere Plattform zu einem Quasi-Standard in den Innovationsabteilungen der Pharma- und Kosmetikindustrie.» Mit der Leber hat es in Schlieren angefangen, unterdessen bietet Insphero aber auch 3D-Gewebe und Testverfahren für das Gehirn, das Herz, die Bauchspeicheldrüse und die Haut an. Dank den Umsätzen aus dem Dienstleistungsgeschäft hatten Jan Lichtenberg und seine beiden Mitgründer bisher einen vergleichsweise tiefen Eigenkapitalbedarf. Externe Geldgeber haben bisher rund 5 Millionen Franken eingeschossen; eine dritte substanzielle Finanzierungsrunde ist in Vorbereitung. Dies vor allem, um den weltweiten Verkauf weiter zu stärken, denn der Markt für Massentests mit chemischen, pharmakologischen und kosmetischen Substanzen ist gross.
Neue Spin-off-Firma InSphero Diagnostics in Gründung
Experten prognostizieren einen Milliardenmarkt für Mikroorgane. Und hier will InSphero seine führende Position ausbauen. Der aktuelle Businessplan sieht vor, dass InSphero 2018 hier mit 60 Mitarbeitern mindestens 100 Millionen Franken umsetzen wird. Als zusätzliches Wachstumsfeld peilt man in Schlieren die personalisierte Medizin an. Mikroorgane sollen Aufschlüsse über den idealen Medikamentencocktail bei Chemotherapien liefern. Die Spin-off-Firma InSphero Diagnostics ist in Gründung.
Von Übermut ist in Schlieren indes wenig zu spüren. Moritz Kelm und Jan Lichtenberg waren vor ihrer persönlichen Gründerzeit erfolgreiche Berufsleute und stehen alle in ihren Vierzigern. Sie wissen: Der Weg vom Startup zum arrivierten Global Player ist lang und steinig. Grund zur Genugtuung gibt es allerdings schon heute. Jan Lichtenberg spricht vom gesellschaftlichen Nutzen der InSphero- Innovation: «Von Verbesserungen in der medizinischen Therapie und Diagnostik profitiert letztlich jeder Einzelne.»
Text: Jost Dubacher