Start-up-Cluster Schweiz: IT drängt nach vorn

21.12.2012

Ein zweites Facebook oder der grosse Wurf, der locker in der Liga von Logitech mitspielen kann? Auf ein solch grosses IT-Kaliber muss die Schweiz wohl noch etwas warten. Verstecken muss sich die «Innovationsweltmeisterin» aber keineswegs. IFJ-Kommunikationsleiter Thorsten Hainke hat für das neue swiss made software Buch einen Streifzug durch die Startup-IT Landschaft gemacht.

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Thorsten Hainke, Kommunikationsleiter IFJ
Die Onlineplattform für Ferienhäuser HouseTrip.com ist nach nur drei Jahren Europameisterin und die globale Nummer 2 mit Luft nach oben, Climeworks befinden sich in der von Richard Branson mit 25 Millionen dotierten Virgin Earth Challenge im Rennen um die beste Cleantech-Idee der Welt und der Terminumfragedienst Doodle wächst
seit Jahren unaufhaltsam weit über die Grenzen der Schweiz hinaus. International kann die Schweizer Start-up-Szene also durchaus mitspielen. Damit dies so bleibt, wird kräftig programmiert und gegründet. Auch 2012 bewegt sich die Zahl der Schweizer Neugründungen in Richtung des vorjährigen Rekordhochs. Besonders aus ETH und EPFL schiessen immer wieder neue IT-Sprösslinge empor, sodass man Zürich und Lausanne auch als die beiden grossen Schweizer Start-up-Cluster ausmachen kann – besonders für IT- und Hightech-Projekte. Nicht umsonst befinden sich die beiden Universitäten in der Spitzengruppe globaler Uni-Rankings und haben mit Programmen, wie dem Transfer an der ETH, dem Logitech Incubator an der EPFL sowie der Technologie-Transferstelle der Zürich Unitectra gute Voraussetzungen für das Unternehmertum geschaffen.

Dass die Rahmenbedingungen stimmen, kommt auch im «Global Innovation Index 2012» zum Ausdruck. Hier konnte die Schweiz ihre Spitzenposition in Sachen Innovationsfähigkeit unter 141 gelisteten Nationen verteidigen. An Innovations- und Gründerkraft fehlt es somit nicht. Eher an Geld, denn das zum Starten oftmals benötigte Venture Capital ist nicht leicht aufzutreiben, was viele Start-ups immer wieder beklagen. Neider blickendiesbezüglich in die USA, wo das Risikokapital breiter verfügbar zu sein scheint und auch die Finanzierungssummen höher liegen. Von der amerikanischen «Think Big»-Mentalität kann man schnell beeindruckt werden, wie es die Schweizer Start-up-Nationalmannschaft in Boston immer wieder bestätigt und sich davon auch anstecken lässt. Zusammengesetzt ist diese Nati aus den sogenannten venture leaders – 20 erfolgversprechenden Jungunternehmer – die jedes Jahr die Möglichkeit haben, während zehn Tagen ihr Business auf eine internationale Bühne zu tragen. Programme wie diese sind es, die den so wichtigen Austausch und Kontakt zu Industrieexperten und Inves-toren herstellen. Und das mit Erfolg: Ein
Grossteil der von einer Jury ausgewählten Teilnehmer kommunizieren in den Folgemonaten des US-Trips erfolgreiche Finanzierungsrunden.

2012 bewegt sich die Zahl der Schweizer Neugründungen in Richtung Rekordhoch
Noch vor der Gründung stehende Jungunternehmerinnen und -unternehmer finden erstes Startkapital dagegen über die private Förderinitiative venture kick. Hier haben jeden Monat acht aus den Hochschulen stammende IT- oder Hightech-Projekte die Chance, vor eine kompetente Jury aus Investoren und Industrieexperten zu treten. Nach einem neunmonatigen Entwicklungsprozess winkt am Ende die Gesamtsumme von 130'000 Franken. Insgesamt sind so schon 9 Millionen Franken an 247 innovative Start-up-Projekte geflossen. «Ohne diesen Kick wäre ich definitiv nicht da, wo ich heute stehe», so Mathias Hausmann, der mit seinem Zürcher Start-up Uepaa AG eine Rettungs-App für Alpinsportler entwickelt hat und einer der venture kick Gewinner von 2012 ist. «Die erste Frühphasenfinanzierung, aber vor allem auch das extrem gute Coaching in den Trainingscamps trugen massgeblich dazu bei, dass ich mich optimal auf das Unternehmerleben vorbereiten und sogar eine Finanzierungsrunde über 1,5 Millionen Franken abschliessen konnte.» Dass sich die Initiative wahrlich «auszahlt», belegt auch die Tatsache, dass die geförderten
Start-ups ein Finanzierungsvolumen von 300 Millionen Franken realisieren konnten. Das bedeutet: Für jeden Franken, den die Initiative à fonds perdu ausgeschüttet hat, «holten» sich die Start-ups über 30 Franken aus eigenen Kräften von anderen Geldgebern.

Start-ups realisierten ein Finanzierungsvolumen von 300 Millionen
Doch ist das ausreichend? Nein, meint der Redalpine Venture Capitalist Nicolas Berg. Seiner Meinung nach täte die Schweiz gut daran, noch mehr Projekte zu fördern oder Finanzierungskapital zur Verfügung zu stellen. Dies nicht zuletzt aufgrund der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Jungunternehmen für das Land. Nachhaltig schaffen Start-ups in der Schweiz über 40'000 neue Arbeitsplätze, wie aus Berechnungen des Instituts für Jungunternehmen (IFJ) hervorgeht. Die Hälfte der Gründer hört zwar nach fünf Jahren wieder auf, doch wird diese Mortalitätsquote durch das Wachstum der Erfolgreichen überkompensiert.

Start-ups schaffen in der Schweiz jedes Jahr 40‘000 neue Jobs
Natürlich zählt für die Start-ups nicht nur das verfügbare Kapital, sondern vor allem auch die nötige Expertise. Diese ist bekanntlich unbezahlbar, aber im Fall des nationalen Start-up-Trainings von venturelab kostenlos. Seit 2004 haben rund 23'000 Start-up-Begeisterte vom Programm der Kommission für Technologie und Innovation KTI profitiert, für dessen Durchführung sich das IFJ verantwortlich zeigt. Vom Schnupper-Event über praxisnahe Semesterkurse bis hin zu Intensiv-Workshops für Strategie und Wachstum bietet sich hier alles, um Start-up-Jünger auf Erfolgskurs zu bringen. Erfolgs-Start-ups wie GetYourGuide, eine Onlineplattform für Touren in aller Welt, oder Dacuda, Erfinder der Scannermaus, haben in diesen Kursen ihre Geburtsstunde gefeiert. Geht es nach dem IFJ, darf die «Geburtenrate» ruhig weiter ansteigen: «Nirgends ist es einfacher, seine eigenen Visionen zu verwirklichen als in einer eigenen Firma. In Zeiten von Selbstbestimmung und Selbstfindung sicherlich kein schlechter Weg. Schliesslich würden mehr als neun von zehn Gründern diesen Schritt wieder tun», so Beat Schillig, IFJ Geschäftsführer und Business Angel of the Year 2012. Das ist auch einer der Gründe, warum sich das IFJ laufend an den Bedürfnissen angehender Firmengründer orientiert und ihnen den Start ins Unternehmerleben so einfach wie möglich machen will. Die Devise dabei: Unnötige Bürokratie vermeiden und praktische Tools anbieten, damit sich Jungunternehmen auf das eigene Business konzentrieren können. So lässt sich die Firmengründung schnell, sicher und bequem von zu Hause aus über eine dialoggesteuerte Onlineplattform erledigen. Zur Gründungsvorbereitung steht ein kostenloser Intensivkurs über drei Stunden an mehreren Standorten zur Verfügung. Ausserdem wurde mit dem Branchenführer ABACUS eine Partnerschaft geschlossen, um Jungunternehmen eine professionelle Business- und Buchhaltungslösung zu bieten. Verschiedene Intensivkurse, eine Businessplan-Software und die mit 121 Anlässen an elf Standorten stattfindenden Startimpuls-Events machen das IFJ somit zu einer zentralen Anlaufstelle für Firmengründerinnen und -gründer in der ganzen Schweiz. Standortförderungen bieten ergänzend dazu lokale Informationen oder Unterstützung, beispielsweise mit der Plattform www.gruenden.ch, die Fragen rund um den Gründungsprozess abdeckt. In der Nordwestschweiz ist zudem i-net innovations networks ein interessanter Ansprechpartner: Auch hier kann man sich dafür bewerben, den eigenen Businessplan durch externe Experten evaluieren zu lassen. Dazu kommen diverse Coaching-Programme sowie die Chance, das eigene Produkt auch in einem internationalen Kontext zeigen zu können.

In sogenannten Innovation Circles bietet i-net ausserdem Plattformen, welche für den fokussierten Austausch mit Experten genutzt werden können. Sollte es das ge-suchte Thema noch nicht geben, kann man versuchen, gleich einen neuen Austauschkreis zu gründen. Networking betreibt auch das IFJ mit den sogenannten «Startimpulsen». Dabei handelt es sich um eine Reihe Events, an denen Jungunternehmerinnen und -unternehmer beim Apéro mit Gleichgesinnten in Kontakt kommen können. Parallel gibt es ein kostenloses Expertenreferat zum Thema erfolgreiches Unternehmertum. Erwähnenswert ist auch der seit zwei Jahren stattfindende Web Monday in Zürich. Alle zwei Monate trifft sich dort die lokale Start-up-Szene zum Austausch und zur Vernetzung. Erfolgsgründer wie Amir Suissa von DeinDeal, der in Zürich mit einem eigenen E-Commerce-Inkubator ebenso die Gründerkultur fördern will, wie der Blue Lion Inkubator für den ICT- und Cleantech-Sektor finden hier ein dankbares Publikum. Um lose Ideen in Businesspläne zu verwandeln, wurde mit dem Start-up-Weekend eine weitere Veranstaltungsreihe initiiert, die in mittlerweile fünf Städten Station macht. Innovative Ideen werden auch im Hub Zürich entwickelt, der sich als Working Space, Brutstätte und Austauschplattform für Social Entrepreneurs etabliert hat. Wer sich hier einen Schreibtisch mietet, profitiert vom direkten Kontakt mit Gleichgesinnten und der Inspiration, die daraus folgt.

Ein Fördertopf mit über 100 Millionen steht zur Verfügung
Nicht unerwähnt bleiben darf natürlich die hiesige Förderlandschaft, die als Enabler der in den letzten Jahren gewachsenen Start-up-Kultur fungiert. Urgestein ist dabei die Kommission für Technologie und Innovation KTI, die mit der Initiative CTI Start-up seit 1996 besteht. Dort werden jedes Jahr vielversprechende Unternehmen gecoacht. Wer das Programm besteht, erhält das CTI-Start-up-Label und damit auch die Chance auf weiterführende Finanzierung. Gerade Kantonalbanken wie die ZKB sehen in dem Label einen wichtigen Faktor, bevor sie investieren. Gilt das weiter oben bereits erwähnte venturelab als Trainingsprogramm für innovative Start-ups, werden bei CTI-Start-up ausgesuchte Unternehmen weiter gefördert. Wer schon eine Firma hat, aber Gelder braucht, um ein innovatives Projekt voranzutreiben, kann sich bei CTI Invest bewerben, einer anderen Initiative des KTI. Die KTI-Projektförderung stellt hier für die anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung einen Fördertopf mit über 100 Millionen Franken zur Verfügung.

Die geringe Verfügbarkeit von Risikokapital ist ein Manko
Wie bereits erwähnt besteht auch die Möglichkeit, sich an die Kantonalbanken und deren Stiftungen zu wenden. Diese sind aber weniger risikofreudig und steigen gewöhnlich erst zu einem späteren Zeitpunkt ein. Ebenso gilt der Branchenverband SECA als Anlaufstelle und natürlich Venture-Capital-Gesellschaften wie Redalpine Venture Partners AG oder BrainsToVentures, die zwar weniger Risiko bei der Auswahl fürchten, aber trotzdem nur auf Projekte setzen, deren Geschäftsmodell eine hohe Rendite zugetraut wird. Dass eine gewisse Auswahl und Qualität gut tut, zeigen die hohen Überlebensraten von Start-ups, die mit guten Voraussetzungen starten.

Die strukturellen Voraussetzungen, damit aus Visionen und Ideen Businesspläne, konkrete Taten und schliesslich Umsätze und Arbeitsplätze werden, sind also vorhanden. Trotzdem gibt es immer wieder einige Stolpersteine zu überwinden, zum Beispiel die komplizierten Arbeitsbewilligungen für Nicht-EU-Bürger. Im direkten
Vergleich ist es also nicht verwunderlich, dass sich gerade Berlin als neue Boomtown für Start-ups feiern lässt – nicht zuletzt wegen der niedrigen Löhne. Abzüge erhält die Schweiz aber nicht nur wegen der geringen Verfügbarkeit von Risikokapital. Auch der kleine Heimatmarkt gilt als Problem für erfolgshungrige Jungunternehmen. Doch es überwiegen schliesslich die zahlreichen Vorteile: Tolle Infrastruktur, hohe Lebensqualität, effiziente Behörden und niedrige Steuern. Dazu kommen hervorragende Bildungseinrichtungen wie ETH, EPFL, ZHDK, ZHAW oder FHNW. Keine Schweizer Region kann am Ende alle Erfolgsfaktoren für den perfekten Start-up-Cluster verbuchen. Was es aber gibt, ist ein lebendiges System aus Anlaufstellen, Forschungsförderungen, Technoparks und Investoren, die nicht zuletzt wegen der guten Verkehrsinfrastruktur am Ende doch recht nah zusammen liegen. Somit hat die Übersichtlichkeit der Schweiz auch wieder ihre Vorteile. Gesamthaft hat die Schweiz also durchaus das Potenzial, auch als Start-up-Land für Furore zu sorgen. Am Ende «hilft» die Börsenkrise dann vielleicht dabei, nicht unbedingt ein zweites, aber vielleicht ein ganz «neues» Facebook zu kreieren. Wie weit die heimischen Start-ups dabei bereits gekommen sind, zeigen zum Beispiel die alljährlichen Top 100, die besten Schweizer Start-ups auf www.startup.ch.

Text: Thorsten Hainke


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Der zweite Band der Buchserie «swiss made software» enthält zahlreiche Hintergrundinfos zum Schweizer Softwaremarkt. Ergänzend zum ersten Band werden eine Reihe weiterer wichtiger Player vorgestellt. Gleichzeitig wird ein Blick geworfen auf die lebendige Start-up-Szene sowie einige ihrer interessantesten Exponenten, an dem auch das IFJ mitgewirkt hat. Wer sich einen Überblick über «ICT made in Switzerland» verschaffen will, sollte die Ausgabe (Print oder eBook) nicht verpassen. 

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